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Das Streben nach Wachstum

In seinem Buch „12 Gesetze der Dummheit“ geht der Neurowissenschaftler Henning Beck auf Denkehler ein, die in menschlichen Entscheidungen allgegenwärtig durch die Neigung des Gehirns zur Vereinfachung entstehen. Hierbei greift er mehrere Themen auf, die ich bereits diskutiert habe und teilweise im Widerspruch dazu stehen.

Ein Kapitel lautet „Das Streben Nach Wachstum – Warum wir nicht verzichten können.“ Hierbei geht Beck auf zentrale Lösungsansätze in der Nachhaltigkeitsdebatte ein: Die Idee des Verzichts und der Grenzen des (Wirtschafts-)Wachstums. Hierbei definiert er Verzicht folgendermaßen: „[…] Verzicht bedeutet, dass man weniger von dem hat, was man vorher brauchte, um sein Glückslevel, seine Identität, seinen gesellschaftlichen Status zu halten“ ( Beck 2023, S. 197). Er spricht hierbei von einem „Mindestniveau, das wir für unser Wohlbefinden brauchen“ (ebd. S.198) und führt als Beispiel die Corona-Pandemie an, bei der die globalen CO²-Emissionen aufgrund von verschiedenen Verzichten gesunken seien.

Eine etwas provokante Fragestellung auf der Konferenz der Ökologischen Ökonomie/Degrowth 2024 in Pontevedra, Spanien: Sind wir süchtig nach Wachstum?

Hierbei würde ich dem Autor teilweise Recht geben. Ja, es braucht ein Mindestmaß an Ausstattung und Komfort, damit wir uns wohlfühlen. Und das kann sehr individuell aussehen. Mir z.B. würde es fehlen, wenn ich morgen keinen grünen Tee trinken mehr könnte. Es gibt jedoch auch Dinge, die wir (fast) alle benötigen. Wir haben etwa einen Mindestbedarf an Energie wie z.B. zum Kochen oder Heizen , wobei es auch ein Level gibt, ab dem wir keine Steigerung unseres Wohlbefindens mehr erfahren („Energie-Suffizienz-Schwelle„). Andererseits gibt es auch einen Gewöhnungseffekt, wobei wir nur für kurze Zeit eine Steigerung unserer Zufriedenheit erfahren. Der vermeintliche Traum vom Umzug ins Eigenheim entpuppt sich etwa häufig als Illusion und bietet ein Beispiel, warum wir oftmals überschätzen, wie glücklich wir durch materiellen Wohlstand werden.

Beck argumentiert, dass der Mensch bzw. das Gehirn natürlicherweise nach Wachstum strebt und dass die Motivation, für die Klimakatastrophe zu verzichten, nicht ausreichend sei. So sei es einfallslos, in dieser Krise die Zeit zurück zu drehen und auf den erworbenen Wohlstand zu verzichten (Henning 2023, S. 200). Hier ist zumindest etwas Wahres dran. Tatsächlich erleben wir selbst im Laufe des Lebens sowohl ein körperliches Wachstum, als auch auch ein inneres, geistiges Wachstum (siehe hierzu auch das vorherige Kapitel).

Doch sind wir Menschen auch dazu bestimmt, das Wirtschaftswachstum am Laufen zu halten? Laut Jörg Rieskamp, Professor für Wirtschaftspsychologie gibt es im engeren Sinne keinen Wachstumsimpuls, der uns dazu antreibt, mehr zu wollen, als wir wollen. Jedoch bestehe einerseits der evolutionäre Antrieb, genug zum Überleben zu haben und anderseits eine Angst vor dem Verlust (Verlustaversion). Dies führe zu einem Dilemma: „Unsere Neigung, potenziell negative Veränderungen um jeden Preis zu vermeiden, veranlasst uns daher, Sicherheit zu suchen, indem wir dafür sorgen, dass wir in der unmittelbaren Zukunft etwas überschüssige Ressourcen haben. Wir versuchen somit, mehr materielle Güter zu erwerben, weil wir darin die sicherste Strategie sehen, zu vermeiden, dass wir weniger haben, auch wenn wir grundsätzlich zufrieden wären mit einem Status quo.“ Gleichwohl sollten wir uns klar machen, das unser wirtschaftliche Verhalten veränderbar ist ebenso wie andere menschliche Eigenschaften.

Im Großen und Ganzen greift seine Argumentation, um das Thema „Wirtschaftswachstum“ viel zu kurz. Sicherlich ist dies auch dem Umstand geschuldet, dass er Neurowissenschaftler ist und sich nicht vertieft mit den Argumenten aus Sicht der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Physik beschäftigt hat. Dies wird etwa deutlich, wenn er davon spricht, dass sich der „Ruf nach Verzicht“ eine „neo-kolonialistische Wiederkehr der westlichen Überheblichkeit“ anhöre (Henning 2023, S. 205). Dabei lässt er außer Acht, dass ein weit gehender Teil des Wohlstand bzw. des Wirtschaftswachstums im globalen Norden selbst auf Kosten der Länder im Globalen Süden basiert („Kostenexternalisierung“) und eine Lösung in der Umverteilung bzw. dem Teilen liegt (aus dem Buch Endzeit, Christian Jakob 2023, S. 257).

Ebenfalls beschäftigt sich Beck in seiner Argumentation nicht mit den physikalischen Grundlagen, die der Debatte zu Grunde liegt. So basiert unser Wirtschaftswachstum auf Energieumwandlung, welche wiederum mit Entropieproduktion verknüpft ist. Entropie wiederum ist, grob gesagt ein Maß für Komplexität. Energienutzung setzt einen Bedarf voraus. Es ist also unmöglich, etwas Komplexes herzustellen, ohne mindestens gleich viel Komplexität anderswo zu vernichten. Die Herstellung eines Produkts ist zwangsläufig mit einer Abnutzung von Umweltressourcen verbunden. Aus diesem thermodynamischen Gesetz ergibt sich unweigerlich die Forderung nach einem maßvollen, ressourcenschonenden Wirtschaften, sprich einer Begrenzung des Wirtschaftswachstums.

Als Konsequenz ergibt sich jedoch auch, und dies kann man positiv sehen, der Ruf nach einer solidarischen Ökonomie. Konkret wird dies in der Forderung der AutorInnen des aktuellen, sogenannten „Circularity Gap Reports“ (dieser Bericht fasst jährlich den Anteil der Kreislaufwirtschaft an der Weltwirtschaft zusammen) nach einer Besteuerung von Luxusgütern (z.B. Villen oder Yachten):

Auf diese Weise könnte man nicht nur überflüssigen Konsum eindämmen, sondern auch die generierten Einnahmen in öffentliche Güter investieren. Diese öffentlichen Güter, wie etwa verbesserte öffentliche Verkehrsmittel, Parks und im Gesundheitswesen, können allen zugute kommen. Dadurch entstehe ein Übergang von dem aktuellen Zustand, in dem zumeist öffentliche Güter vernachlässigt werden und privater Reichtum gefördert wird zu einem Zustand der privaten Suffizienz und einem Wohlstand, welcher der Allgemeinheit dient.

großflächige ökologische Gemeinschaftsgärten in Havanna, Kuba (Organopónicos). Diese gelten als Vorbild für urbane solidarische Landwirtschaft.

Die Aufgabe, und da würde ich Beck zustimmen, ist es trotz der Bedingungen und trotz der aktuellen Krisen, optimistisch zu bleiben. Schließlich führt dies erst dazu, dass wir handlungsfähig bleiben und lösungsorientiert arbeiten (Beck 2023, S.225). Und dass wir das können, zeigen viele Beispiele in der Vergangenheit: So wurde etwa Utrecht erst durch die Ölkrise in den 1970-er Jahren zur Fahrradstadt der Superlative und Kuba zum Vorreiter der biologischen Landwirtschaft in städtischer Umgebung (Urban Gardening). Not macht erfinderisch.

Optimistisch stimmt mich persönlich die aktuelle Entwicklung um Technologien, die es auf Grundlage künstlicher Intelligenz ermöglichen sollen, mit anderen Tieren zu kommunizieren. Das würde uns als Menschen schließlich dabei helfen, unsere Sichtweise zu erweitern und mehr Verständnis für sie aufzubringen. Damit könnten wir in unserer Beziehung mit der Umwelt wachsen.