Friedrich Merz scheint eine sehr eigensinnige Ansicht zur Klimakrise zu haben. In der Zeit behauptete er jüngst: „Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten 10 Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg.“ und ergänzend dazu, meinte er , dass Deutschland durch den technologischen Fortschritt für den Klimaschutz viel erreichen könne, mehr als mit einer Verbots- und Regulierungspolitik. Ach ja?! Schauen wir uns doch beispielsweise mal einen Ausschnitt aus dem jüngsten Copernicus-Bericht an.
In der Graphik kann man die Temperaturanstiege der letzten Jahre im Vergleich mit der Periode 1991-2020 sowie der Periode 1850 und 1900 erkennen. Die Zahlen entstammen verschiedener Datensätze, wie etwa aus dem Copernicus Climate Change Service (C3S) Datensatz ERA5. Man erkennt, dass die letzten 8 Jahre die wärmsten waren, die gemessen worden sind. Allein dieser Umstand sollte uns zu Denken geben.
In 2022 lag die globale Durchschnittstemperatur 1.2°C über derjenigen aus den Zeitperiode 1850-1900 und 0.3°C über dem Durchschnitt von 1991-2020.
Aber was heißt das jetzt genau und wie lässt sich das auf die Aussage von Friedrich Merz beziehen?
Dazu schauen wir uns beispielhaft die CCS-Techniken (Carbon Capture and Storage, zu deutsch: Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) und CDR-Techniken (Carbon Dioxide Removal) an, welche als populäre Maßnahme angeführt werden, das CO² aus der Luft zu entnehmen. Hierbei wird etwaKohlendioxid aus der Luft gefiltert beziehungsweise aus dem Abgas von Kraftwerken und Industrie-Anlagen abgetrennt.
Beispielhaft hierfür ist das Projekt Porthos. Bei diesem Projekt werden im Hafen von Rotterdam in den kommenden Jahren eine Pipeline entlang der Raffinerien, Kraft- und Zementwerke verlegt. Hierbei wird das Kohlendioxid aus den Abgasen eingebracht. Über die Pipeline wird das Kohlendioxid hinaus in die Nordsee in eine alte Erdgaslagerstätte gepumpt.
(Siehe dazu: https://www.mpg.de/16569676/geoengineering)
Das hört sich vielleicht erstmal vielversprechend an. Allerdings sollten wir uns für eine Einschätzung des Potenzials die Zahlen hinsichtlich der entnommenen sowie der emittierte Menge anschauen. Aktuell werden etwa 40 Milliarden Tonnen CO² weltweit ausgestoßen. Mithilfe von CDR-Techniken werden davon gerade einmal 2 Milliarden Tonnen entnommen.
Selbstverständlich kann nun argumentiert werden, dass durch technologischen Fortschritt diese Methodik verbessert wird und die Effizienz gesteigert wird (ein Standardargument von fortschrittbegeisterten ÖkonomInnen). Allerdings wird dabei bisher überwiegend auf unser Ökosystem zurückgegriffen, also zum Beispiel durch die Speicherung von Bäumen. Hier gibt es aber natürliche Grenzen. Die Gesamtleistung der Technologien ist mit 2 Millionen Tonnen Bindevermögen verschwindend gering und müsste bis 2050 um das 1.300-fache gesteigert werden, um unter dem 2 Grad Temperaturanstieg zu bleiben. Ein utopisches Ziel.
Ein Aspekt der dabei völlig ausgeblendet wird, ist das Artensterben beziehungsweise die Biodiversitätskrise. Wir befinden uns laut der Umweltschutzorganisation WWF in dem größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier, die vor 65 Millionen Jahren gelebt haben. Es sterben 150 Arten aus – jeden Tag. Das ist 100 bis 1000 mal so viel, wie es natürlicherweise passiert. Uns betrifft dies unmittelbar, denn wir sind abhängig von den Ökosystemdiensleistungen die uns umgeben. Zum Beispiel hängt unsere Ernährung davon ab, ob diese funktionieren. Mehr als 3/4 der Pflanzenarten, die wir anbauen, sind davon abhängig, ob z.B. Bienen sie bestäuben. Diese Dienstleistungen sind so schwer zu verstehen, dass man von einem komplexen System spricht. So wurden bisher zwar mehr als 2 Millionen Pflanzen- und Tierarten entdeckt, aber wir können nicht sagen, ob wie hoch dieser Anteil an der gesamten Artenzahl ist.
Da erwartet wird, dass in kurzer Zeit 70 % aller Tier- und Pflanzenarten aussterben werden, kann von einem Massensterben gesprochen werden. Also vergleichbar mit dem Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier ausgelöscht hat. Damit es wieder zur Stabilisierung der Aussterberaten kommt, werden etwa 10 Millionen Jahre benötigt. Zum Vergleich: Der erste direkte Vorfahre des Menschen lebte vor etwa 6 Millionen Jahren.
Um zum Anfang des Blogartikels zurückzukommen. Es ist ein schwerwiegender Fehler, anzunehmen, dass technologischer Fortschritt zum größten Teil die Probleme beseitigt, die durch die Klima- und Biodiversitätskrise entstehen. Sicherlich ist die Entnahme von Kohlenstoffdioxid hilfreich, kann aber nur ein Baustein unter vielen sein, um die Erderwärmung zu reduzieren. Zudem erscheint es unrealistisch, dass es allein durch Technologie möglich sein wird, etwa Arten zu ersetzen oder gar das Ökosystem zu stabilisieren.